NST | Neue Mitte Nordsteimke
Wolfsburg und sein Umfeld wachsen. Über 75.000 Einpendler*innen bei ca. 125.000 Einwohner*innen zeigen die Attraktivität des Standortes, der regelmäßig das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner*in in Deutschland hat. Der Wohnungsleerstand liegt aktuell bei ca. 1%, mehr als 6.000 Interessierte befinden sich auf Wartelisten der Wohnungsgesellschaften Neuland, Volkswagen Immobilien und Allertal und noch einmal so viele interessieren sich für Baugrundstücke.
2012 wurde von der Stadt Wolfsburg eine Wohnbauoffensive beschlossen: Bis 2025 sollen weitere 10.000 neue Wohneinheiten entstehen. Bereits 74 Wohnbauprojekte wurden bislang umgesetzt, 2.500 Wohnungen und Häuser sind bezogen, weitere folgen – unter ihnen der „Sonnenkamp“, im Südosten der Stadt, nur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt.
Im Anschluss an den 1972 eingemeindeten Ortsteil Nordsteimke und in direkter Nähe zum Ortsteil Hehlingen bildet der Sonnenkamp auf über 155 ha Fläche einen neuen Wohnstandort, in dem auf ca. 105 ha Bruttobauland circa 3.000 Wohneinheiten (mietgeminderter Wohnraum, Miet-, Eigenheime) entstehen werden. Die derzeitige Bewohnerschaft Nordsteimkes und Hehlingens wird damit voraussichtlich verdreifacht.
2015 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt, der die Basis für die heutige Entwicklung ist: Um einen Landschaftszug – die „Grüne Mitte“ mit einer Größe von ca. 63 ha – ordnen sich vier, ggf. fünf Quartiere mit eigener Identität und eigenem Charakter innerhalb des Planungsgebiets. Die ersten Hochbauarbeiten – für das Quartier III (rund 480 Wohneinheiten) – werden voraussichtlich in 2022 erwartet.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Schaffung eines Masterplans für die 28,52 ha große Fläche „Neue Mitte Nordsteimke“. Innerhalb des neuen Wohngebiets Sonnenkamp hat die „Neue Mitte“ nicht nur eine Sonderrolle, sondern auch zentrale Funktionen:
- sie bildet funktional das neue Stadtteilzentrum mit der entsprechenden sozialen Infrastruktur,
- als mischgenutztes urbanes Quartier mit öffentlichen Räumen stiftet sie der neuen Ortserweiterung einen öffentlichen Raum und
- schließlich hat sie die Aufgabe Brückenschlag und Gelenk zum Altdorf Nordsteimke und zum Ort Hehlingen zu sein
Die Fragen nach der Einbindung, Überplanung und Neuausrichtung des bestehenden Fachmarktareals und dem Umgang mit
der stark befahrenen K 5 als trennende und maßstabsbrechende Elemente bedürfen weiterer innovativer Lösungen auf entwurflicher Ebene, um das Altdorf und den Sonnenkamp städtebaulich, räumlich und funktional zu verflechten und mit Hehlingen zu einem harmonischen Ganzen zu fügen.
Übergeordnetes städtebauliches Ziel der Entwicklung des Sonnenkamps ist es auch, das weitläufig bekannte Nebeneinander separater Siedlungsteile aus verschiedenen
Zeiten zu vermeiden und stattdessen ein Miteinander verschiedener identitätsstarker Orte in einer Konzeption städtischer
Dichte zu etablieren der Ausgangs und Gravitationspunkt hierfür ist die „Neue Mitte Nordsteimke“.
Für die Aufgabe, ein zentrales urbanes Quartier mit Wohnen, sozialen Einrichtungen wie Nachbarschaftszentrum, Bürgerzentrum, Grundschule, Kita, Jugendort, Aktivspielplatz, Sportflächen und Handels- und Dienstleistungsangebote im suburbanen Raum zu schaffen, ist eine städtebauliche Konzeption zu entwickeln, die spezifische und allgemeine städtebauliche Qualitäten stiftet. Städtebauliche Qualitäten, die nicht nur der Neuen Mitte dienen, sondern wegweisend für die Stadtentwicklung im vorstädtischen Raum sein können.
In diesem Sinne werden mutige und realistische Ideen zur Schaffung eines zukunftsweisenden urbanen Zentrums im suburbanen Raum gesucht.
Preisgericht
Obergutachter:innen
Ständig anwesende stellvertretende Obergutachter:innen
Projekt-Ergebnisse
↑1. Preis
1. Preis: pp a|s pesch partner architekten stadtplaner GmbH, Dortmund
Das städtebauliche Konzept ist gekennzeichnet durch eine innere Logik und Klarheit. Das neue Quartier ist ganz beiläufig und ebenso selbstverständlich in die bestehende Situation eingefügt. Die neue Bebauung tritt gegenüber der Landschaft als ablesbare Form in Erscheinung und bietet zugleich eine sukzessive Weiterentwicklung des Quartiers. Durch die radiale Führung der Erschließung und die unterschiedlich großen Plätze entstehen im gesamten Quartier sehr spannende Raumsequenzen, die eigenständig in Erscheinung treten und eine hohe Aufenthaltsqualität bieten. Der Bildungscampus wird gut in das Quartier eingebunden.
Die Vielfalt an Wohntypologien unterstützt das Ziel des Auslobers, ein Quartier zu realisieren, das von Menschen ganz unterschiedlicher Bedürfnisse angenommen wird. Das Konzept wird generell als sehr robust angesehen und kann dadurch gut auf sich verändernde Anforderungen reagieren. So ist es beispielsweise vorstellbar, dass zu den Rändern des Quartiers hin die Bauten in ihrer Höhe reduziert oder kleinteiliger ausgeführt werden.
Die Lage des Campus wird begrüßt. Hervorgehoben wird die gute Adressbildung und die Öffnung der Bildungseinrichtungen zum Günraum. Eine stärkere Verknüpfung mit dem zentralen Platz wärezu überprüfen. Die straßenbegleitende Bebauung entlang der K5 ist in der Typologie richtig gewählt. Sie bietet eine ablesbare Identität und Adresse als Ortseingang für Nordsteimke und schafft an dieser Stelle den erforderlichen Schallschutz. Die gegen Norden anschließende Wohnbebauung bedarf noch einer Überprüfung.
Die Positionierung von EDEKA auf dem westlichen Grundstück wird aufgrund seiner zentralen Lage begrüßt. Um auf eine separate Wegeführung durch eine Brücke über die K5 zu verzichten, welche aus Sicht der Verfasser eine unangemessene Priorisierung des MIV’s gegenüber dem menschlichen Maßstab darstellen würde, ist eine ebenerdige Überquerung mit z.B. einer Tempo 30 Zone vorgeschlagen. Die Realisierbarkeit dieser durchaus sympathischen Idee bedarf einer eingehenden Prüfung. So bietet auch die Ausbildung einer dreireihigen Baumallee entlang der K5 die Möglichkeit, dieVorzone zum Quartier als attraktive Erschließung für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen weiterzuentwickeln.
Die geplanten Typologien und die Nutzungsmischung entlang der K5 geben erlauben eine flexible Umnutzung. Um die die Transformation der Mobilität zu stärken, favorisieren die Verfasser die Erstellung von oberirdischen Parkdecks. Diese Einschätzung wird vom Gremium geteilt. Insgesamt würdigt das Gremium die gelungene Integration des neuen Quartiers in die bestehende Situation und die zugleich hohe Eigenständigkeit des Beitrags. Die abwechslungsreichen Freiräume und die gewählte Typologie der einzelnen Bausteine versprechen ein Quartier mit hoher Aufenthaltsqualität. Hier und da werden geringe Anpassungen erforderlich, so beispielsweise beim Campus. Diese Anpassungen würden das Gesamtkonzept nicht schwächen.
↑2. Preis
2. Preis: Machleidt GmbH Städtebau + Stadtplanung, Berlin
Die Planung zeigt eine Weiterentwicklung der im Zwischenkolloquium präsentierten Überlegungen. Dabei sind die Empfehlungen und Anregungen aus dem Gremium aufgenommen worden, insbesondere der Hinweis, dass die Anzahl der Wohneinheiten und die bauliche Dichte deutlich zu verringern sind. Die Reduktion der Einheiten führt nun zum Wegfall der südlichen Quartiere. Diese Entscheidung ist zwar nachvollziehbar, der bauliche Rand zum Grünraum wird aus Sicht des Beurteilungsgremiums durch den Wegfall jedoch geschwächt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Reduktion der Dichte die Ablesbarkeit der ursprünglichen Figur verunklart, das neue Quartier dadurch bruchstückhaft in Erscheinung tritt und der Ortsbezug verloren geht. Vor diesem Hintergrund werden die nun für die Bebauung vorgeschlagenen optionalen Felder ebenso kritisch gesehen.
Der zentrale Platz ist gut positioniert und dient als wichtiger Orientierungspunkt im Quartier. Die Idee des grünen Bandes wird generell als ein großzügiges Angebot an Grünraum in zentraler Stelle positiv bewertet. Zugleich wirkt der Platz und das grüne Band im Verhältnis zu der eher geringen Höhenentwicklung angrenzender Bauten überdimensioniert. Im Gremium wird mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass durch die üppige Breite des Bandes das Quartier eher geteilt als verbunden wird.
Eine Nutzungsdurchmischung ist gegeben, eine noch stärkere Durchmischung wäre wünschenswert. Der Auftakt des Campus am zentralen Platz wird begrüßt. Hinterfragt wird, ob die Kindertagesstätte auf Grund ihrer eher geringen Höhe hier den richtigen Auftakt bilden kann. Die Positionierung der Spielfelder ist richtig gewählt. Die vorgeschlagene Überquerung der K5 durch eine Fußgängerbrücke wird im Gremium intensiv und kontrovers diskutiert. Schlussendlich wird mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass auf eine weitere Fußgängerbrücke über der K5 zu verzichten ist.
Kontrovers wird auch der Vorschlag eines baulichen Bandes für Handwerksbetriebe entlang der K5 diskutiert. Einerseits ist der Wunsch nach einer baulichen Fassung der K5 nachvollziehbar, andererseits wird in Frage gestellt, ob mit gewerblichen Bauten ein attraktiver Auftakt für das Quartier entsteht. Gewürdigt wird die Idee eines wirksamen Schallschutzes, der durch die Bebauung für das angrenzende Wohnquartier entstehen könnte. Die dargestellten ein- bis zweigeschossigen Baukörper werden die erforderliche Schutzwirkung jedoch nicht erreichen. Sie sind zu niedrig. Ein besonderes Augenmerk bedürfen in diesem Bereich die Grünräume, die derzeit eher als Abstandsgrün wirken.
Das Angebot an zwei Quartiersgaragen und die Idee, das Parken oberirdisch zu organisieren, werden positiv herausgestellt. Die Lage der Quartiersgarage westlich der K5 wird hinterfragt. Deren Lage wird als zu prominent bewertet. Insgesamt würdigt das Gremium die hohe Qualität der Arbeit und deren Ausarbeitungstiefe. Es ist zugleich der Auffassung, dass die Reduktion der Dichte den ursprünglich kraftvollen städtebaulich und freiraumplanerischen Ausdruck geschwächt hat.