ERF | Atlantic Hotel Erfurt
Neubau von zwei Hochhäusern in Erfurt | September 2019 bis Dezember 2019
Anlass und Ziel
Erfurt verändert sich.
Der kürzlich eröffnete ICE-Knoten Erfurt verändert die Erreichbarkeit der traditionsreichen Stadt mit seinen schnellen Reisezeiten nach Berlin, München, Frankfurt und Dresden. Die Entwicklung der ICE-City – eines der großen Stadtentwicklungsprojekte Deutschlands – wird die Umgebung des Hauptbahnhofs maßgeblich verändern. Bisherige Brachen werden entwickelt und bilden bedeutende Bausteine in der Stadt. In Anlehnung an das Erfurter Motiv „Brücke mit zwei Hochpunkten“ sollen – den Schritt in Richtung modernes Erfurt repräsentierend – zwei identitätsstiftende Hochhäuser in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof entstehen. Nur fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof sind zwei Hochhäuser geplant – der Tower West mit 50 m Höhe und einer Geschossfläche von ca. 12.000 qm und der Tower Ost mit einer Höhe von 60 m und einer GF von ca. 14.000 qm. Im „Tower West“ soll ein Hotel 4-Sterne-Plus-Segment mit Konferenz- und Tagungsräumen seine Gäste beherbergen. Mit einer gastronomischen Einrichtung im Erdgeschossbereich soll ein Beitrag zu einem funktionalen und qualitätsvollen Stadtraum geleistet werden.
Im Tower Ost auf der anderen Straßenseite soll ein Ort des zeitgenössischen Arbeitens entstehen. Gesucht wird eine der Dynamik der Stadt, der Bedeutung des Ortes und den funktionalen Anforderungen der Arbeitswelt in besonderem Maße entsprechende städtebauliche und architektonische Lösung.
Die künftig an einem Wasserlauf in Bahnhofsnähe gelegenen Türme sollen den „Sprung über den Flutgraben“ symbolisieren und die angrenzenden Quartiere miteinander vernetzen. Es wird die Gestaltung für zwei unabhängige Baukörper erwartet, die sich gegenseitig stärken und in einer Beziehung/Kohärenz zueinander stehen.
Um dieser komplexen Aufgabenstellung gerecht zu werden, bedarf es herausragender städtebaulicher und architektonischer Entwürfe, die mit ihren Kubaturen und ihrer Gestaltung sowohl die Nah- als auch die Fernwirkung berücksichtigen, eine attraktive Erscheinung zu allen Seiten schaffen und funktionale Grundrisse und Räume für alle Nutzer bieten.
Verfahren
Das Verfahren wird als nichtoffener einphasiger Realisierungswettbewerb mit Ideenteil gemäß RPW 2013 durchgeführt. Im Rahmen des Verfahrens werden Preisgelder in Höhe von 155.000 € zzgl. Umsatzsteuer ausgelobt. Diese Summe wird aufgeteilt auf Preise und Anerkennungen und eine pauschale Aufwandsentschädigung für jeden der Teilnehmer.
In einem Zwischenkolloquium wird das Preisgericht mit allen Preisrichtern und den jeweiligen Teilnehmern unter Aufhebung der Anonymität die ersten Entwurfsansätze diskutieren. In einer finalen Sitzung erfolgt die Auswahl eines Entwurfs als Grundlage für die weitere Planung.
Die Ausloberin beabsichtigt unter Berücksichtigung der Empfehlung der Jury, die Verfasser des ausgewählten Entwurfs mit der Ausarbeitung der weiteren Planungen zu beauftragen und entsprechende Verhandlungen aufzunehmen.
Preisgericht
Fachpreisrichter:innen
Sachpreisrichter:innen
Ständig anwesende stellvertretende Fachpreisrichter:innen
Stellvertretende Sachpreisrichter:innen
Projekt-Ergebnisse
↑1. Preis
1. Preis: Delugan Meissl Associated Architects, Wien
Beurteilung des Preisgerichts
Der Entwurf des Atlantic Hotel im Tower West zusammen mit dem Tower Ost von DMAA zeichnet sich aus durch den außerordentlichen Umgang mit der Aufgabe ein neues Wahrzeichen für den Aufbruch der Stadt zu entwerfen. Als „Typisch Erfurt“ prägen zwei herausragende Ideen den Entwurf. Die erste Idee bezieht sich auf die vielfältigen Treppensituationen der Stadt. DMAA greifen dieses stadträumliche Element auf und schenken Erfurt einen neuen „Stadtsockel“. In einer großzügigen Geste erhebt sich eine öffentliche Freitreppe aus dem Bürgersteig heraus und bildet einen einladenden Platz auf dem Niveau des Bahndamms. Wie selbstverständlich fügt er sich in die Topografie des Ortes ein. Die Treppenstufen bringen hohe Aufenthaltsqualität und eine südliche Atmosphäre in diesen Teil der Stadt. Das Restaurant auf dem neuen Stadtniveau hier kann zu einer beliebten Destination in Erfurt werden; es ist mehr als ein Hotelrestaurant. Klar und markant erhebt sich auf dem Sockel der Hotelbaukörper. In alle Richtungen kommuniziert das Haus, dass es passgenau für diesen Ort entworfen ist. Mit ihrer zweiten Idee greifen DMAA mittels der Gebäudekonstruktion und damit einhergehend mit der Gestaltung der Fassade auf raffinierte und gleichzeitig einfache Weise ein zweites Erfurt- typisches Thema auf: das Fachwerk. In Anlehnung an den „Thüringer Leiter“–Verband gliedert sich die Fassade in vertikale, horizontale und diagonale Fassadenelemente. Diese Fassadengestaltung ist nicht nur ein Gewinn für das Stadtbild, sondern bieten dem Gast öffenbare Fenster und eine besonders gut nutzbare Fensterbrüstung.
In welcher Konstruktionsart diese Struktur baulich umsetzbar ist –Holz- oder Holzhybrid oder konventioneller Bauweise– muss mit allen Beteiligten im Laufe der Planung geprüft werden. Positiv wird bewertet: Alle Zimmerflure haben Sichtbezüge in die Stadt. Die klare Gliederung der Zimmer in steinerne Bad-Bereiche und Zimmerbereiche in Holzatmosphäre wirken passend zur Atlantic Hotel Marke. Treppenhäuser müssen nochmal auf ihre Dimensionen hin überprüft werden. Im Dachgeschoss ist die Lage der Bar und ihre Sichtbeziehungen zur Altstadt zu überprüfen. Vom Bahnhof kommend öffnet sich der Stadtsockel zu einem hohen verglasten Eingang. Hier im Erdgeschoss ist auch der Fitness- und Spabereich angeordnet, der das Potential hat ebenfalls ein öffentliches Angebot an die Erfurter zu machen. Die genaue Lage ist im weiteren Prozess zu plausibilisieren.Der Stadtsockel löst ebenfalls auf intelligente Weise alle funktionalen Bereiche wie Tiefgaragen- einfahrt und Anlieferung. In den unteren Geschossen muss die funktionale Verknüpfung der Küchenbereiche mit dem Restaurant noch im Detail erarbeitet werden. Die Architektur des Tower West verleiht dem speziellen Ort der ICE City weithin sichtbar den Ausdruck von Aufbruchsstimmung in die Zukunft – verknüpft mit dem Stolz auf die traditionelle Altstadt.
Mit der Weiterführung der Holzbautradition Erfurts markiert der Entwurf an dieser Stelle nicht nur den Auftakt in ein neues Stadtquartier, sondern auch den Auftakt in ein neues Kapitel der Stadtentwicklung. Es ist im weiteren Verlauf zu prüfen, inwieweit der Entwurf als Holzbau mit den Rahmenbedingungen der Auslobung im Hinblick auf zeitliche und wirtschaftliche Realisierbarkeit umsetzbar ist.Der Tower Ost steht durch mehrere Elemente in Verwandtschaft zum Tower West. Auch hier bildet eine öffentliche Treppe einen neuen Stadtbalkon aus, der die Sichtverbindung zur Altstadt intensiviert. Während der Tower West aus allen Perspektiven stimmig sitzt, sind die Proportionen des Tower Ost noch optimierungsbedürftig.
Beide stehen in einem positiven Spannungsfeld zueinander. Die städtebauliche Setzung des Tower West ist DMAA extrem gut gelungen. Aus allen Blickrichtungen der Stadt wirkt das Atlantic Hotel schlank, elegant und lässig. Eine große Geste in die Zukunft.
↑2. Preis
2. Preis: Hilmes Lamprecht Architekten, Bremen
Beurteilung des Preisgerichts
Die Arbeit der Architekten Hilmes Lamprecht besticht in Gänze durch eine sorgfältige und feine Bearbeitung der gestellten Aufgabe. Die Fügung der Baumassen ist sehr ausdifferenziert und vermag den Baukörper in mehrere Höhenbereiche gekonnt so zu gliedern, dass vielfältige Antworten an den Kontext der Stadt gegeben werden können. Die Kurt-Schumacher-Straße erhält einen „Point de Vue“ in Form einer prächtigen Hotelfassade und eines Baukörpers in Über-Eck- Perspektive. Der Trommsdorferstraße ist ein mächtiger vertikaler Fassadenteil gut zugeordnet und der große Stadtraum zur Stauffenbergallee erhält seine Referenz durch überwiegend ruhige Fassadenflächen, die als städtebauliches Thema eine gute Vorgabe für den Tower Ost darstellen können. Die prinzipielle Nord-Süd Ausrichtung lässt durch die gestalterischen Maßnahmen der Terrassierung und Flächenausrichtung einen Baukörper entstehen, der wie ein geschliffener Stein gut in die Fassung der städtebaulichen Situation passt. Das städtebauliche Zusammenspiel mit dem Tower Ost ist gelungen. Die Hotelvorfahrt vor Kopf von der Nordseite aus wird gelobt. Durch diese funktionale Entzerrung und einer schönen Zuordnung des Restaurants, kann der Platz an der Kurt-Schumacher-Straße eine eigene Qualität entwickeln. Die Verwendung von Markisen hilft zudem eine hohe Aufenthaltsqualität zu erzeugen. Insgesamt ist das Erschießungskonzept in allen Teilen gut durchdacht.
Der Entwurf zeichnet sich durch eine hohe Funktionalität aus. Das Raumprogramm ist nicht nur erfüllt, sondern im Gebäude gut angeordnet. Besonders gefallen die räumliche Qualität des Hotelfoyers wie die überzeugende Platzierung der Hotelbar nebst Terrasse mit Blick auf die Altstadt im 12. Obergeschoss. Die Wirtschaftlichkeit der Arbeit ist geben. Mit ca. 17.100 qm BGF liegt die Arbeit im Vergleich im mittleren Bereich der Ausnutzung des Grundstücks. Unterhalt und Wartung können ohne besondere Hilfsmittel erfolgen. Die Einordnung der Technischen Anlagen im Dachbereich wird positiv gesehen. Das Material- und Farbkonzept, welches auf Beton und Klinkervariationen beruht, wird anerkannt. Insgesamt lässt die Arbeit ein Gebäude mit hoher Qualität erwarten. Der urbane Baustein ist si- cher gesetzt und respektiert den Kontext in hohem Masse. Jedoch wird diskutiert, ob das architektonische Innovationspotential entwurfsbedingt voll ausgeschöpft wurde und ob die Arbeit die visionäre Kraft für ein Wahrzeichen des Neuaufbruchs in die ICE-City aufbringt.
↑Anerkennung
Anerkennung: Schulz und Schulz, Leipzig
Beurteilung des Preisgerichts
Städtebaulich liefert der Entwurf einen sehr interessanten Ansatz, indem die kompositorisch gut gesetzten Volumina eine für diesen Standort identitätsstiftende Gebäudegruppe ausbilden. Dabei nimmt der westliche, große Quader die Richtung der Staufenberg-Allee auf und der östliche, die der Brücke über dem Flutgraben und führt damit in die ICE-City. Die sich daraus entwickelnde rechteckige Gebäudegeometrie ist dem Raumprogramm angemessen. Die Motive der Auskragung und der Diagonalen in den Fassaden werden sehr gewürdigt, da diese auf historische Vorbilder Erfurts Bezug nehmen und sie auf eine zeitgenössische Art und Weise interpretieren. Allerdings kann die baukörperliche Ausbildung an der wichtigen Überleitung zum Promenaden-Deck nicht überzeugen. Die Fassade des fensterlosen Auditoriums wirkt an dieser Stelle abweisend. Die Aufenthaltsqualität auf dem neuen „Stadtplatz West“ wird angezweifelt. Der Versuch der Herleitung der Auskragungen wird gesehen, die Sinnfälligkeit an dieser Stelle und in diesem Maße wird in Frage gestellt.
Das Fassadenbild wirkt innovativ und bestimmt den Charakter der Architektur, allerdings führt das Motiv der Diagonalen in der Ausarbeitung zu einem konstruktiv höchst aufwendigen Tragsystem, selbst wenn es als seriell herstellbare Konstruktion beschrieben wird. Die Grundrissorganisation ist sehr klar und effizient. Gut gelungen ist insbesondere das 13. OG mit der Ausbildung der Bar und des Spabereiches, welche gegenüberliegend von der Aufzugslobby erschlossen werden und je einem Dachgarten zugeordnet sind. Die Arbeit stellt aus typologischer und funktionaler Sicht einen sehr wertvollen Beitrag dar. Sie ist sehr gut durchdacht und liefert auf viele Aspekte der Aufgabenstellung außergewöhnliche Antworten. Die Bearbeitungstiefe und die Darstellungsqualität erreichen ein hohes Niveau, das Gesamtkonzept erscheint jedoch in Bezug auf diesen städtischen Kontext letztlich nicht vollständig überzeugend.