QAH | Quartier Am Humboldthain
Wettbewerbsgegenstand in der ersten Stufe war eine Plausibilisierung, Qualifizierung und Präzisierung der Inhalte der Auslobung für die zweite Stufe. Hierfür wurden grundsätzliche Aussagen zur Verteilung der Baumassen – Dicht/Höhe – und der städtebaulichen Ordnung– Gebäude/Freiraum/öffentlicher Raum/Landschaft – erwartet. In der ersten Stufe mit 24 Teilnehmern wurde ein eingeladener Ideenwettbewerb nach §3 RPW 2013 durchgeführt. Die zweite Stufe wurde als nichtoffener Realisierungswettbewerb gemäß RPW 2013 §3 durchgeführt.
Ziel des Verfahrens war die Neuentwicklung eines 6,5 ha großer Teilbereich eines Blocks: Berlins größte innerstädtische Quartiersentwicklung für produktionsgeprägte Nutzungen, Teil des Technologieparks Humboldthain (TPH) einem der elf „Berliner Zukunftsorte“.
Anlass und Ziel
Vis-a-vis zur Südseite des Volksparks Humboldthain liegt ein ca. 14,4 ha großer Block, in seiner Mitte befindet sich ein großflächiger viergeschossiger Bau aus den 1980er Jahren, ehemals errichtet durch die Firma Nixdorf. Dreiseitig baulich eingebettet – von denkmalgeschützter Industriearchitektur des letzten Jahrhunderts im Westen und Süden und einer Büro- und Wohnbebauung im Osten und Süden – nimmt das Gebäude einen Großteil des Wettbewerbsgebiets von ca. 6,5 ha ein. Das Gebäude an der Gustav-Meyer-Allee 3 entspricht jedoch nicht mehr heutigen energetischen und funktionalen Standards und soll zurückgebaut werden. Hier soll das Quartier Am Humboldthain entstehen.
Das zukünftige Quartier Am Humboldthain (kurz: QAH) ist im StEP Wirtschaft 2030 wie folgt beschrieben: Das Gebiet ist sowohl als „Zukunftsort“ festgeschrieben, wie auch als „EpB-Gebiet“ (Teil des Entwicklungskonzepts für den produktionsgeprägten Bereich). Darüber hinaus hat das Gebiet eine signifikante Bedeutung in der Industriegeschichte Berlins, die sich auch bis heute durch denkmalgeschützte Gebäude in der Nachbarschaft baulich manifestiert. Die Lage direkt am Volkspark Humboldthain trägt zur Einzigartigkeit des Standorts bei.
In der Vorbereitung zum Verfahren wurden Flächenpotenziale zwischen 150.000 und 250.000 m² GF diskutiert. Der Bezirk steht dabei höheren Werten als 200.000 m² kritisch gegenüber, schließt diese jedoch nicht aus, wenn höhere Werte durch besondere Qualitäten im Entwurf überzeugend begründet werden können.
Das QAH wird zur größten innerstädtischen Quartiersentwicklung dieser Art und bietet ein einzigartiges Potenzial für einen Standort, in dem alle denkbaren Formen der Arbeit einen Platz finden: Verknüpfung von Forschung und Wissenschaft, hochwertige Büroflächen, Produktion und Gewerbe und Flächen für „kleinere“ produktionsgeprägte Einrichtungen. Ergänzende Nutzungen, öffentliche Räume als Teil eines neuen Wegesystems bieten Mehrwerte für die Nutzer und verknüpfen das Quartier mit den Nachbarschaften.
Das QAH wird damit Teil des Technologieparks Humboldthain (TPH) einem der elf „Berliner Zukunftsorte“, in dem schon jetzt enge Kooperationen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie stattfinden.
Die Neuordnung des Quartiers birgt auch das Potenzial, den hohen bestehenden Versiegelungsgrad zu mindern, Grünflächen im Kontext des Volksparks Humboldthain weiterzuentwickeln und damit sowohl einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung zu leisten, als auch die besonderen Standortqualitäten baulich zu qualifizieren: Das QAH liegt zentral in der Stadt und gleichzeitig im Grünen. Für das Quartier besteht der Anspruch einen Ort zu errichten, der städtebauliche, architektonisch, typologisch und klimapolitisch Maßstäbe setzt und den Standard für ein nutzungsflexibles Gewerbequartier des 21. Jahrhunderts neu definiert.
Verfahren
Das Verfahren wird in zwei Stufen durchgeführt. Zwischen den Verfahrensstufen liegt eine Pause zur Abstimmung, Präzisierung, ggf. Qualifizierung und Bestätigung der Rahmenbedingungen mit dem Bezirk Mitte und gegebenenfalls der Senatsverwaltung.
In der ersten Wettbewerbsstufe werden grundsätzliche Lösungsmöglichkeiten, in der zweiten Wettbewerbsstufe detailliertere Ausarbeitungen und Vorschläge zur oben genannten Aufgabe erwartet.
In der ersten Stufe mit 24 Teilnehmern wird ein eingeladener Ideenwettbewerb nach §3 RPW 2013 durchgeführt. Nach Auswertung der Arbeitsergebnisse der ersten Stufe wird die Jury voraussichtlich bis zu 8 Arbeiten für die weitere Bearbeitung in der zweiten Stufe des Verfahrens auswählen und mit Preisen honorieren.
Die zweite Stufe wird als nichtoffener Realisierungswettbewerb gemäß RPW 2013 §3 durchgeführt.
Mit der ersten Stufe soll eine Plausibilisierung, Qualifizierung und Präzisierung der Inhalte der Auslobung für die zweite Stufe erreicht werden. Hierfür werden grundsätzliche Aussagen zur Verteilung der Baumassen – Dicht/Höhe – und der städtebaulichen Ordnung– Gebäude/Freiraum/öffentlicher Raum/Landschaft – erwartet. Eine detaillierte Planung von Grundrissen ist nicht Gegenstand der ersten Stufe.
Teilnehmende
- ACME, London, Berlin + POLA Landschaftsarchitekten GmbH, Berlin
- agps architecture ltd., Zürich/Los Angeles
- ASTOC – Architects and Planners, Köln
- Caspar Schmitz Morkramer, Köln
- Christoph Kohl Stadtplaner Architekten, Berlin + Fugmann Janotta Partner Landschaftsarchitekten und Landschaftsplaner bdla, Berlin
- cityförster architecture+urbanism PartGmbB, Hannover + nsp landschaftsarchitekten stadtplaner PartGmbB, Hannover
- Cobe A/ S – Architektur, Landschaft und Städtebau, Kopenhagen, DK
- DMSW Architekten, Berlin + bbq landschaftsarchitekten, Berlin
- Hadi Teherani Architects GmbH
- HENN GmbH, Berlin + WES GmbH LandschaftsArchitektur, Hamburg
- KCAP, Zürich + Blocher partners, Stuttgart + Planstatt Senner GmbH, Überlingen
- KSP Engel GmbH, Berlin
- LOVE architecture and urbanism ZT GmbH
- Michels Architekturbüro GmbH, Berlin + SCHÖNHERR Landschaftsarchitekten PartmbH, Berlin
- Ortner & Ortner Baukunst, Berlin + capattistaubach urbane landschaften, Berlin
- OS A Ochs Schmidhubner Architekten GmbH, München + mahl gebhard konzepte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Landschaftsarchitekten BDLA Stadtplaner, München
- Reicher Haase Assoziierte GmbH, Aachen + Landschafts.Architektur Birgit Hammer, Berlin
- ROBERTNEUN ™ GmbH, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten Berlin GmbH, Berlin, DE
- Sauerbruch Hutton Gesellschaft von Architekten mbH + Lützow 7 Müller Wehberg Landschaftarchitekten PartGmbH
- Thomas Hillig Architekten, Berlin
Preisgericht
Fachpreisrichter:innen
Sachpreisrichter:innen
Ständig anwesende stellvertretende Fachpreisrichter:innen
Stellvertretende Sachpreisrichter:innen
Projekt-Ergebnisse
↑1. Preis
1. Preis: Cobe A/ S – Architektur, Landschaft und Städtebau, Kopenhagen, DK
Die städtebauliche Konzeption konfiguriert die baulichen Volumen konsequent um einen zentralen grünen Quartierspark, der in Maßstäblichkeit und Vernetzung mit dem Humboldthain und dem Industriequartier einen identitätsprägenden Stadtraum für das Quartier formuliert. Die gewählten baulichen Typologien – sowohl im Norden zur Gustav-Meyer-Allee als auch im Süden zu den historischen Industriegebäuden werden individuell gestaltet.
Die Bebauung zur Gustav-Meyer-Allee entwickelt sich in einer Sequenz von gut proportionierten Zeilenstrukturen, die geschickt über verbindende niedrigere Baukörper, teilweise mit großzügigen Tordurchgängen, zum Innenbereich attraktive einzelne Werkhöfe öffnen, die gleichsam individuelle Frei- und externe Arbeitsbereiche aufspannen, die für verschiedene Nutzer:innen Aneignungsmöglichkeiten bieten. Die Silhouette der nördlichen Bebauung ist lebendig gestaffelt und gut konturiert. Die bauliche Anbindung an das Institut für Bautechnologie ist überzeugend gelöst.
Zur Gustav-Meyer-Allee entwickelt sich ein durch subtile vertikale und horizontale Rücksprünge und der Verzahnung der 38 m hohen Querzeilen mit den niedrigeren Baukörpern und den Toröffnungen differenziertes abwechslungsreiches, aber auch klares städtebauliches Raumbild. Ein gut proportionierter Eingangsplatz mit einem freigestellten schlanken Hochhauskörper leitet geschickt in das Quartier ein und vernetzt an dieser Position den Humboldthain mit dem grünen Quartierspark.
Die zwischen den beiden Baustrukturen aufgespannte Ost-West-Achse, die in dem neu geschaffenen Brunnenplatz mündet, durchdringt das gesamte Gebiet und verbindet somit die historischen und neuen Gebäude.
Dieser achsiale Bezug bietet die Chance, eine Verbindung bis zum AEG Beamtentor an der Brunnenstraße zu öffnen.
Die drei Baufelder nach Süden sind flächig ausgelegt und priorisieren konsequent gewerbliche Nutzungen, Labore und die Produktion mit einem Anteil an Büros und zusätzlichen öffentlichen Nutzungen. Zwei 60 m Hochhauskörper flankieren aus diesem Ensemble heraus den Quartierspark.
Es wird kritisch angemerkt, dass die Baufelder eine sehr hohe Ausnutzung vorsehen, die im Sinne einer Flexibilität, Nutzungsoffenheit und Raumqualität hinterfragt wird. Die Dominanz des Produktionsanteils, insbesondere auch in den Obergeschossen, entspricht nicht den Anforderungen der Auslobung.
Auf der anderen Seite eröffnet die Stringenz der gewählten Struktur im Entwurf die Möglichkeit von Anpassungen in der Kubatur und Volumenjustage, die insbesondere im mittleren Baufeld, das eine sehr geschlossene lange Flanke bildet, angewendet werden kann. Es wird festgestellt, dass die Baustrukturen für weitere Entwicklungen robust ausgelegt sind.
Die Platzbildung vor der historischen Werkhalle, die über einen Tordurchgang mit der Gustav-Meyer-Allee verbunden ist, öffnet sich eine klare Sichtachse auf die alte Fabrik für Bahnmaterial und vernetzt die historische industrielle Atmosphäre des Ortes mit dem neuen Quartier. Die Wegebeziehungen innerhalb des neuen Quartiers werden über zwei schmale Wege und Erschließungsräume hergestellt, deren Charakter, so wie auch der lineare südliche Frei- und Erschließungsraum, in seiner Gestaltung noch etwas diffus wirkt.
Der Entwurf zeichnet sich durch eine sehr klare städtebauliche Setzung mit klaren baulichen Typologien aus, die entwicklungs- und wandlungsfähig sind und mit den tradierten historischen Industrieensemble korrespondieren. Der grüne Quartiersplatz verspricht als zentraler wie großzügiger Ort der Orientierung und des Aufenthalts, auch unter mikroklimatischen Aspekten, eine Nutzungsvielfalt, die Zukunftsfähigkeit und Identität im Kontext der neuen und historischen Baustrukturen verspricht
↑2. Preis
2. Preis: Ortner & Ortner Baukunst, Berlin + capattistaubach urbane landschaften, Berlin
Die Arbeit überzeugt mit der klaren städtebaulichen Struktur, die den Bezug zum vorhandenen Kontext sucht und gleichzeitig einen eigenständigen identitätsstiftenden Ort entwickelt.
Das Areal wird in drei Ost-West verlaufende Baufelder mit einem differenzierten Freiraumgerüst gegliedert. So entsteht eine spannungsvolle Abfolge von Plätzen und Wegen, die das neue Quartier mit dem jeweiligen Umfeld vernetzt.
Zur Gustav-Meyer-Allee entsteht eine Raumkante, die durch die Setzung einzelner Hochpunkte akzentuiert wird. Die Verortung und Ausrichtung der beiden Hochpunkte an den Eingängen in das neue Quartier ist städtebaulich konsequent und nachvollziehbar; die parallel zur Straße hin ausgerichtete Hochhausscheibe wird in ihrer stadträumlichen Wirkung eher kritisch bewertet.
Die südliche Baureihe nimmt Bezug zu der rückwärtigen Bebauung der Voltastraße. Die geplanten Volumina orientieren sich an dem Maßstab und Rhythmus der Bestandsgebäude; durch die geschickte Setzung der Neubauten wird das Quartier selbstverständlich mit dem Umfeld verzahnt. Die mittlere Baureihe zeichnet sich durch die Abfolge der Quartiersplätze aus und schafft einen respektvollen und angemessenen Übergang zum Denkmal. Zwei weitere Hochpunkte bilden ein Ensemble um den zentralen Quartiersplatz.
Die Massivität der Hochpunkte wird insgesamt kritisch bewertet.
Geschickt werden durch die versetzte Anordnung der einzelnen Baufelder Sicht- und Raumachsen geschaffen, die von der Gustav-Meyer-Allee bis zum südlichen Quartiersrand verlaufen und das gesamte Areal von Westen bis Osten verbinden.
Die Zwischenräume sind alle großzügig dimensioniert und schaffen für jedes Baufeld individuelle Freiräume. Dieser Ansatz ist ein wesentlicher Entwurfsbaustein für das gesamte städtebauliche Konzept. Vor dem Hintergrund der neuen Entwicklung und dem Anspruch, einen besonderen Ort zu schaffen, besteht hier die Chance, ein unverwechselbares identitätsstiftendes Areal zu kreieren.
Die Erschließung des neuen Quartiers erfolgt über eine Ringerschließung, die die Verfasser als „Fabrication Loop“ bezeichnen. In dieser Konsequenz werden sämtliche Gebäude im inneren Quartier für die Ver- und Entsorgung und die Feuerwehrzufahrten gut erreicht.
Die einzelnen Gebäude sind zur Gustav-Meyer-Allee oder den inneren Platzräumen adressiert. Die EG-Flächen sind grundsätzlich von außen einsehbar, es entsteht ein großes Maß an Transparenz.
Große Bedeutung kommt der inneren Durchwegung zu, in der den Fußgängern und Fahrradfahrern eine besondere Priorität eingeräumt wird.
Die Programmierung entspricht grundsätzlich dem Raumprogramm der Auslobung.
Sämtliche Gebäude sind durchgehend mit 2-geschossigen Industriesockeln ausgebildet, die im EG und 1. OG Produktionsflächen und teilweise öffentliche Nutzungen aufnehmen. Die Obergeschosse sind überwiegend als Büroflächen geplant.
An dem östlichen Rand des Quartiers sind zwei Bausteine ausschließlich mit EpB-Flächen zu einem kompakten Produktionscluster verbunden. Der Vorschlag für ein kompaktes Produktionsgebäude wird als Lösungsansatz innerhalb der städtebaulichen Struktur positiv aufgenommen. Die geplante Verortung dieses Nutzungsbausteins zu den angrenzenden Wohnhäusern führt hier zu Nutzungskonflikten und wird durch das Preisgericht kritisch beurteilt.
Die Stärke dieser Arbeit liegt in der klaren städtebaulichen Struktur, die sich selbstverständlich mit dem Umfeld vernetzten und ein eigenständiges Quartier schafft. Das Konzept bietet eine gute Voraussetzung für das Weiterbauen dieses faszinierenden Areals.
↑3. Preis
3. Preis: ROBERTNEUN ™ GmbH, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten Berlin GmbH, Berlin, DE
Die Arbeit greift vorhandene bauliche Typologien der näheren Umgebung auf und schafft einen differenzierten Städtebau mit einer spannungsvollen Raumabfolge. Die verschiedenen Räume interagieren auf respektvolle Art und Weise und mit wohltuendem Abstand zu den gewachsenen baulichen Strukturen der ehemaligen Werkhalle und der Bebauung in der Voltastraße.
In einem Geflecht von gut proportionierten Plätzen und Gassen werden diese Räume erschlossen, die durch ihre individuelle Gestaltung ganz besondere Atmosphären entwickeln und eine Bereicherung für die Entwicklung des Quartiers darstellen.
Die Analyse der historischen baulichen Stilelemente und die weiterentwickelte Anwendung auf die neue vorgeschlagene Bebauung verspricht eine qualitätsvolle und homogene Entwicklung des Areals. Ob einige der vorgeschlagenen Zitate wie die Sheddächer oder die Giebel der baulichen Hochpunkte der Projektentwicklung dienlich sind, wird kontrovers diskutiert.
Die Dimension einiger Baufelder mit sehr langen Raumkanten wird in Bezug auf ein flexibles Entwicklungspotenzial kritisch bewertet, ebenso wie die Nähe der vorgeschlagenen Hochpunkte an der historischen Werkhalle im Westen und der Wohnbebauung im Osten.